de-bug: Monströser Breitwand-Pop mit IQ-Plus /GERMAN   (Read)

René Margraff in De:Bug 116Marcus Schmickler kollaboriert an den verschiedensten musikalischen Fronten. Mit seinem Projekt Pluramon bricht er jetzt zu astreinem Breitwand-Melodie-Pop durch. Das feiern manche als Shoegazer-Klassizismus, was Schmickler überhaupt nicht goutiert – bei aller Liebe zur Melancholie.Die Gitarre im Zentrum. Der Kölner Marcus Schmickler hat in den letzten zwanzig Jahren auf einer unüberschaubaren Menge von Tonträgern die Spannungsfelder zwischen experimenteller Elektronik, Elektro-Akustik, Neuer Musik und Pop ausgelotet. Hier immer wieder verhandelte Labels wie A-Musik, Erstwhile, Mille Plateaux oder Karaoke Kalk haben alle mehr als nur ein Album von Marcus Schmickler in ihrem Back-Katalog. Das wohl zugänglichste Projekt Schmicklers ist Pluramon. Seit mehr als elf Jahren stellt er dort immer wieder die Gitarre ins Zentrum. Anfangs waren es noch repetitive Tracks, weit weg vom Song. Post-Rock oder Glitchpop waren die Labels, die ihm dafür aufgeklebt wurden. Spätestens mit “Dreams Top Rock“, dem ersten Album für Karaoke Kalk im Jahr 2003 hat sich das geändert – Breitwand Pop mit Vocals überraschte dort. 2007 klingt Pluramon nun fast wie eine Band, was wohl daran liegt, dass es inzwischen ein relativ konstantes Band Set-Up und auch mehr Input durch die beteiligten Musiker gibt. Hayden Chisholm (Gitarre, Keyboard), mit dem Marcus Schmickler vor kurzem auch noch eine Platte auf dem schwedischen Label Häpna veröffentlicht hat, war beispielsweise auch am Songwriting beteiligt. Doch mehr Input kam auch von außen, von Kollaborateuren. Fakt ist: wie beim Vorgänger “Dreams Top Rock“ paaren sich auf dem neuen Album “The Monstrous Surplus“ melodiöse Wall-of-Sound-Gitarren mit der Stimme von Julee Cruise, der Dame, die in unseren Köpfen wohl für immer und ewig die Nachtclubsängerin in Twin Peaks verkörpern wird.
Neben Cruise erklingen auf “The Monstrous Surplus“ aber auch noch die Stimmen der Schauspielerin Julia Hummer, der Künstlerin und Spex-Mitbegründerin Jutta Koether sowie die von Marcus Schmickler selbst.

De:Bug:: “The Monstrous Surplus“ klingt als Titel eines Albums erstmal abstrakt. Welcher Überschuss ist gemeint?

Marcus: Es gibt für mich zwei bis drei verschiedene Möglichkeiten den Titel zu lesen, darum macht er mir auch Spaß. Einerseits stützt sich das auf einen Gedanken von Slavoj Zizek, der unter dem Begriff des Surplus ein Objekt der Warenwelt bezeichnet, das seiner eigentlichen Funktion komplett beraubt worden ist und pures Warenobjekt geworden ist. Dieser Begriff kommt auch in einem Text Jutta Koethers auf dem Album vor. Gleichzeitig knüpft das Album aber auch ein bisschen an dem letzten Album, “Dreams Top Rock“ an und man könnte es als Nachschlag lesen. Ja, und dann wäre da noch die Arbeit mit den drei Girls auf der Platte, die für mich auch etwas Monströses hatte.

Akkord-ArbeitDer Arbeitsprozess an “The Monstrous Surplus“ war immer wieder unterbrochen von Touren und Konzerten. Es ist kein Album, das in sechs Wochen komprimiert an einem Stück aufgenommen wurde, vielmehr hat Marcus Schmickler die Stücke recht lange mit sich herumgetragen, liegen lassen, wieder angehört und schließlich an unterschiedlichen Orten mit den jeweiligen Sängerinnen gearbeitet. Die Stücke mit Julee Cruise wurden beispielsweise in New York, zum Teil aber auch an Offtagen auf Tour aufgenommen, Julia Hummer traf er in Berlin, die Beiträge von Jutta Koether bekam er als Audiofiles aus New York gesendet. Interessant ist, dass selten mehr als zwei Personen gleichzeitig mit Marcus an den Songs gearbeitet haben, “The Monstrous Surplus“ jedoch wie aus einem Guss wirkt und noch mehr am Song orientiert zu sein scheint als das Vorgängeralbum.

Marcus: Was mich einerseits interessiert, ist es, einen Weg, den man beschreitet, auch einigermaßen konsequent zu gehen – ohne sich zu wiederholen, also immer wieder auch andere Sachen und Herausforderungen anzunehmen. Bei Pluramon sind dies dann eben kompositorische Herausforderungen: Mich haben dieses Mal Akkordverbindungen mehr interessiert als früher, wo ich ja noch mehr auf Sound gegangen bin, auf Loops im Sinne des Repetitiven. Ich fand das jetzt mal einen guten Zeitpunkt, wirklich in so klassischere Harmoniestrukturen reinzugehen, zu gucken, wie ich damit umgehen kann. Während für mich natürlich auch wichtig ist, dass sich darin dann auch wieder eine Reflexion oder ein Bruch ergibt. Vor allem in den Stücken, bei denen Jutta Koether dabei ist, wo das eben noch mal völlig anders funktioniert oder mehr auch mit einer Energie oder einem Zustand zu tun hat als mit einer Akkordprogression.

HerbstzeitloseNeben Julee Cruise, Julia Hummer und Jutta Koether hat auch Felix Ensslin als Texter einen Beitrag zum Album geliefert. Marcus Schmickler hatte bereits in der Vergangenheit mit dem als Dramaturg und Theaterautor tätigen Sohn der RAF-Mitbegründerin Gudrun Ensslin zusammengearbeitet.

Marcus: Ich schätze ihn als Autor extrem. Er hat im Mai im ZKM in Karlsruhe eine große Ausstellung organisiert, wo er mich gebeten hatte, das Musikprogramm zu kuratieren. Eigentlich kommt er ja aus so einer Theorie- und Philosophie-Ecke, hat ein wunderbares Theaterstück geschrieben, ist aber eben auch ein großer Musikliebhaber und hat zudem eine ziemlich abgefahrene Stimme. Ich habe ihn dann einfach gefragt, ob er nicht Lust hätte, einen Text zu schreiben. Und dann hat er diesen tollen Text geschrieben, der auf den ersten Blick vielleicht etwas kryptisch wirkt, dabei aber doch sehr präzise und sehr klar die Thematik von Dreierbeziehungen beschreibt. Überhaupt haben viele Texte, die auf dem Album sind, mit engen Beziehungen zwischen Menschen zu tun, was ich interessant finde. Auch im Zusammenhang, dass sich dieses Thema dann wiederum als Musiker-Setting widerspiegelt, wo es im Prinzip Julia Hummer und Julee Cruise gibt, dazwischen stehe ich, wobei da ja dann auch noch Jutta (Koether) dazu kommt und wie eine Art Spiegel zwischen diesen beiden Frauentypen, vielleicht aber zwischen diesen beiden Generationen von Frauen oder zwischen diesen zwei verschiedenen sozialen Zusammenhängen, aus denen sie stammen, funktioniert.

Szene-SplitterMarcus Schmickler, das wird im Gespräch immer wieder sehr deutlich, ist ein Fan vom Zusammenarbeiten und Vernetzung ohne sich dafür auf irgendeinen bestimmten Stil oder auf eine Szene festlegen zu wollen. Choräle und Kammermusikalisches auf A-Musik, experimentelleres Zusammenarbeiten mit dem Pianisten John Tilbury oder die zwei Alben mit Hayden Chrisholm sowie sein Beitrag zur Neuen Musik bei MIMEO und dann auch noch Pluramon, den deutlichen gemeinsamen Nenner gibt es da auf den ersten Blick nicht. Aber für Marcus scheint es ganz natürlich zu sein, an die unterschiedlichsten Szenen anzudocken. Egal, ob das nun die Welt des Theaters ist oder eben Neue Musik oder Wall of Sound-Pop. Wie nimmt er die unterschiedlichen Bereiche wahr? Ist es für ihn einfacher in der Welt der E-Musik?

Marcus: Also, den E-Sektor gibt es ja nicht, das ist ja genauso zersplittert wie beim Indierock oder Deep House. Die Sache der Zersplitterung ist auch etwas, was für mich wirklich existenziell ist. Ich sehe mich selbst auch in der Situation, dass ich mich in ganz unterschiedlichen Bereichen aufhalte und bewege – etwas, das ich als Bereicherung und Herausforderung empfinde, weil ich so eine Vorgartenzwerge-Selbstbeweihräucherung und Szenengluckerei nicht so mag. Szenen können sicherlich ein interessanter Kulminierungsort sein, aber sobald etwas kulminiert ist, ist es auch schon an der Zeit, dass es aufbricht, weil das sonst im eigenen Nebel erstickt und nicht weiter geht. Für mich war der Reiz an diesen unterschiedlichen Genres immer mit unterschiedlichen Leuten zu tun zu haben, um mir auch so etwas wie eine Fremdheit oder eine Frechheit, Andersartigkeit erhalten zu können.

Die Melancholie in den Melodien, die Gitarrenschichten und der zurückgenommene Gesang erinnern ein wenig an Bands aus den frühen 90ern. Dass Pluramon nun als Shoegazer-Sound bezeichnet wird, stößt bei Schmickler eher auf Unverständnis. Es ist ein Kompliment, auf das er scheinbar lieber verzichtet hätte. Was ärgert ihn daran? Ist es das Image des schnöden Eskapismus, die von manchen als apolitisch verstandene Melancholie in der Gitarrenwand?

Marcus: Für viele hat dieser Stempel “Neo-Shoegazer“ eine unterschiedliche Bedeutung. Für manche ist das ja das Größte, die finden das ganz toll und so war das wohl auch in der Spex gemeint, weil ich da zunächst ein bisschen irritiert war, dass man da so direkt als “Klassizist“ beschrieben wird. Etwas, das ich absolut nicht erkennen kann. Klar, es gibt Parallelen in der Art und Weise wie es gemixt ist, beispielsweise dass die Vocals weiter hinten sind, wobei das in diesen klassischen Shoegazer-Platten noch mal ganz anders klingt und ganz anders gemacht ist. Nichtsdestotrotz kann ich dieser Haltung, die du mit eskapistisch, von mir aus auch melancholisch oder möglicherweise auch apolitisch beschreibst, etwas abgewinnen. In gewisser Weise hat das jetzige Stadium von Pluramon auch mit dieser Melancholie sehr viel zu tun, die ich auch überhaupt nicht apolitisch finde. Sie ist auf eine gewisse Art und Weise eskapistisch, aber es ist schon eine Zustandsbeschreibung, die ich auch symptomatisch für den jetzigen Zeitpunkt finde und bei der sich für mich dann die Frage stellt: wie kommt man da wieder heraus? Oder: wie durchschreitet man diese Melancholie? Außerdem hat das auch sehr viel mit meiner eigenen Geschichte zu tun, auf die frühen 90er bezogen. Ich habe damals diese Musik gar nicht gehört, sondern mich viel mehr für zeitgenössische Musik interessiert. Die Art von Introspektion oder Melancholie oder auch diese Schlichtheit, die diese Musik oft hat, die mir heute sehr gut gefällt, wird bei mir aber hoffentlich durch die Positionen, die von Jutta kommen, etwas durchbrochen, reflektiert. Da sie ja quasi einen Weg zeigen, wo es über diese Melancholie hinausgeht…

De:Bug:: Wo siehst Du diese Melancholie konkret? Was sind Beispiele dafür?

Marcus: Das ist einerseits persönlich, andererseits trifft es vielleicht auch auf andere Leute zu. Das fängt damit an, dass man sich als Künstler in einer recht schwierigen Lebenssituation befindet im Hinblick auf finanzielle Absicherung, aber auch Älterwerden und Entwicklung. Dazu kommt aber auch die Tatsache, dass zum Beispiel Symbole nicht mehr funktionieren, dass mit Sprachen auf eine sehr subversive Weise von großen Unternehmen und Lobbies umgegangen wird, Rechtsradikale jetzt teilweise aussehen wie Links-Autonome und Ton Steine Scherben bei ihren Aufmärschen laufen lassen. Das ist so eine postmoderne Diffundierung von Werten und Positionen, die dem ursprünglichen Kontext abgerungen werden – eigentlich eine sehr schlaue und starke Kommunikationstechnik.

De:Bug:: In welchem Zusammenhang muss man dann die Sham 69 Coverversion lesen? “If The Kids Are United“ war ja ursprünglich schon eine Hymne des “Zusammen sind wir stark-Gedankens“.

Marcus: Die Tatsache, so einen Klassiker in so einen völlig anderen Kontext zu setzen und eben auch auszuhöhlen und dadurch auch zu dieser Diffundierung beizutragen, fand ich interessant und gleichzeitig so etwas mal wieder aufzugreifen, diese Idee von Jugendbewegung, die da eine zentrale Rolle gespielt hat. “If The Kids Are United“ beschreibt gerade diese Utopie, die es eben in dieser Form in der Domäne der elektronischen Musikszene und bei den Lesern der De:Bug, glaube ich, so nicht mehr gibt.

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